01.Jul 2022

Neurologie/Geriatrie: Canines kognitives Dysfunktionssyndrom (CDS)

 

Canine kognitive Dysfunktion


Die “Hundedemenz/senile Demenz” ist eine geriatrische Erkrankung, welche durch neurodegenerative Prozesse schleichend entsteht. Erste milde Symptome können bereits im Alter von 6-7 Jahren auftreten.

Pathogenese, Vorkommen und das DISHA(A)-Schema

Ähnlich wie bei der Alzheimer-Erkrankung des Menschen lagern sich Lipofuszine und Amyloid-Plaques im Gehirn ab und führen zu kognitiven Verlusten durch Einschränkung der nervalen Zellfunktion, da diese nicht mehr ausreichend mit Energie und Sauerstoff versorgt werden können. Folge sind u.a. ein fortschreitendes Absterben von Nervenzellen und die ausbleibende internervale Signalübertragung. Die Dichte der Plaques korreliert mit dem fortschreiten der Erkrankung. Trotzdem gibt es einige pathogenetische Unterschiede zum Morbus Alzheimer und die Krankheit ist nicht 1:1 gleichzusetzen.

Genaue Ursachen sind bislang ungeklärt und Gegenstand weiterer Forschung. Zu den beeinflussenden Faktoren gehören neben dem Alter auch Genetik, Ernährung sowie weitere Umweltfaktoren.
Rassedispositionen sind bislang nicht bekannt, können aber auch nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. Hündinnen und kastrierte Tiere scheinen häufiger betroffen zu sein.

In durchgeführten Studien wurden bei 30-60% der Hunde über 7 Jahre Anzeichen für die senile Demenz festgestellt. → Einer Sensibilisierung für die Demenz sollte demnach sowohl von Tierärzten als auch Tierbesitzern große Aufmerksamkeit gewidmet und beim regelmäßigen Senioren-Check-Up als anamnestischer Punkt mit einbezogen werden.

Die CDS zeichnet sich durch eine fortschreitende Verschlechterung diverser kognitiven Funktionen aus. Anhand der Bandbreite der Symptome wurde das DISHA(A)-Schema (aus dem englischen) entwickelt. Es listet die Leitsymptome dieses Syndroms auf und dient daher als Orientierungshilfe für die Diagnosestellung.

D - Desorientiertheit: In Ecken/auf der Stelle stehen bleiben, Starren (!), Reaktionsverlust, vertraute Personen werden nicht mehr erkannt
I - Veränderte soziale Interaktion: Verhaltensänderungen im Sozialverhalten, Interessenverluste
S - Veränderungen im Schlaf - Wach - Rhythmus: Der “Klassiker”: Die Nacht zum Tag machen, starke nächtl. Unruhe und Lautäußerungen
H - House soiling - Veränderungen von erlernten Prozessen und Gedächtnisleistung  wie z.B. Verlust der Stubenreinheit, scheinbarer “Ungehorsam”
A - Veränderungen des Aktivitätsniveaus: Verringerung und Verlangsamung, ziellose Aktivitäten
A - erhöhte Anzeichen von Unruhe/Ängstlichkeit, z.B. beim Alleinbleiben, durch äußere Reize

Darüber hinaus wurden inzwischen diverse Canine Cognitive Assessment/Rating Scales ausgearbeitet, um anhand eines Punktesystems den Schweregrad der Erkrankung abzuschätzen. Diese eignen sich in der Praxis sehr gut als Vorab-Fragebogen für den Besitzer.

Diagnose

Eine eindeutige Diagnose anhand fest definierter Parameter ist nicht möglich, teilweise ist die Unterscheidung zu normalen Alterungsprozessen durchaus eine Herausforderung.  
Vielmehr sollte das DISHAA-Schema sowie die diagnostische Therapie mittels Medikation und Ernährungsanpassung zur Hilfe gezogen werden. Die häufigsten Symptome sind Desorientierung, Verlust der Stubenreinheit, Starren und nächtliche Unruhe.

Essentiell ist es jedoch, zuvor alle anderen möglichen Ursachen, die zu ähnlichen Symptomen führen, möglichst auszuschließen, dazu gehören sehr häufig:

  • Schmerzquellen: z.B. Arthrosen, Zähne (Dentalröntgen!), Bluthochdruck
  • Herzerkrankungen
  • Erkrankungen des Harntraktes
  • raumfordernde Prozesse im Bauchraum
  • Hypothyreose

Auch Seh,- und Hörtests können zur Unterscheidung hilfreich sein.

Regelmäßige Kontrolluntersuchungen sind zur Beurteilung des Verlaufs und der Früherkennung weiterer körperlichen Erkrankungen notwendig.

Therapie

Ziel der Therapie ist es, den Prozess zu verlangsamen und die kognitiven Leistungen wieder zu stärken. So wird die Lebensqualität von Hund und Halter verbessert. Eine Heilung ist nicht möglich. Ein möglichst frühzeitiger Therapiebeginn ist wichtig. Die Therapie basiert dabei auf mehreren Pfeilern:

1) Verhalten

Alles, was die Aufmerksamkeit und Konzentration fördert, hilft dem Prozess entgegenzuwirken (auch prophylaktisch), jedoch dürfen die Hundesenioren auch nicht überfordert werden. Die Übungen am Abend durchzuführen, können das Durchschlafen fördern. Nach Möglichkeit eine feste Tagesstruktur einhalten, an der sich der Vierbeiner orientieren kann.

Leichte physiotherapeutische Übungen können täglich in den Ablauf eingeplant werden.

2) Diätetik

Sowohl spezielle Alleinfuttermittel als auch Diät-Ergänzungsfuttermittel (sog. Nutraceuticals, Kombinationspräparate mit Ginkgo, B-Vitaminen usw.) und Omega-3-Fette sind erhältlich und werden mit Erfolg eingesetzt.
Auch die tägliche Fütterung von MCT-Öl führte in Studien zur signifikanten Verbesserung kognitiver Leistungen - dies kann u.a. dadurch erklärt werden, dass die mittelkettigen Fettsäuren (bzw. die daraus entstehenden Ketonkörper) eine sehr gute alternative Energiequelle für das Gehirn darstellen, denn im Alter sinkt die Möglichkeit der Glucoseverwertung des Gehirns.

3) Medikation

Die Wahl des Medikamentes bzw. der Medikamentenkombination hängt von den Leitsymptomen ab und muss häufig individuell ausgetestet werden.

  • Schmerzmedikation wie NSAID oder Gabapentin: Diagnostische Therapie bei Verdacht auf schmerzhafte Prozesse
  • Selegilin (MAO-Hemmer, Antidepressivum) - Wichtig: Eintritt der Wirkung oft erst nach 3-6 (8) Wochen, dann aber häufig gute bis sehr gute Wirkung
  • Benzodiazepine (Diazepam, Alprazolam)
  • Propentofyllin
  • Melatonin:  1-2 x tgl. 3–6 mg/Hund per os oder 0.1 mg/kg per os alle 8h (Schlaffördernd bei nächtlicher Unruhe) - Achtung: kann den Effekt von Benzodiazepinen potenzieren
  • einige Tierärzte berichten auch von sehr guten Erfahrungen mit pflanzlichen Produkten wie hochwertigen CBD-Ölen, Studien existieren dazu bislang nicht - wichtig zu wissen: Die Einnahme von CBD-Öl führt zu einem signifikanten Anstieg der alkalischen Phosphatase (AP) im Blut!
  • Weiteres: Pheromone (Halsbänder, Stecker etc.), gängige Ergänzungsfuttermittel, welche eine beruhigende Wirkung haben sollen

4) Aufklärung und Unterstützung der Besitzer als Eckpfeiler der Therapie - nicht zu vernachlässigen!

Wichtig ist es u.a., dass die Besitzer Geduld und Verständnis dafür aufbringen, dass dem Hund keine Schuld für Verhaltensänderungen zukommt.
Vielmehr benötigen betroffene Hunde verstärkte Sicherheit und Zuwendung.

Die Umgebung kann altersentsprechend angepasst werden. Beispielsweise kann der nächtliche Ruheplatz mit einem kleinen Nachtlicht, einem extra Wassernapf, gemütlich und nahe am Besitzer ausgestattet werden, so helfen die kleinen Details manchmal schon für ruhigere Nächte.

 

 

Literaturverzeichnis: Auf Anfrage

Autorin des Artikels:

Tierärztin med. vet. Julia Brüner