04.Feb 2022

Interview mit Ass.-Prof. Dr. med. vet. Michaela Gumpenberger

 

 

Diplovets: Wie hilft Telemedizin durch Spezialisten aus Ihrer Sicht den behandelnden Tierärzten?

Dr. Michaela Gumpenberger: Eine zweite Meinung hilft immer, da vier Augen mehr sehen als zwei. Selbst KollegInnen mit fundiertem Wissen in der Bildgebenden Diagnostik schätzen z.B. bei komplizierteren Fällen eine zweite Meinung.
Für KollegInnen, die sich nicht auf die Bildgebung spezialisiert haben, ist es sicherlich eine Entlastung, die Befundung in erfahrenere Hände abzugeben, um dann mit der Diagnose den Patienten möglichst erfolgreich zu betreuen. Weiters kann es durch z.B. Urlaub oder Krankheit zu Personalmangel kommen. Damit eine Praxis/Klinik den Betrieb möglichst störungsfrei weiterführen kann, hilft Telemedizin unabhängig von Ort und Zeit.
Exoten bilden dabei keine Ausnahme. Meist ist es so, dass auf Reptilien- oder Vogelmedizin spezialisierte Tierärzte rar sind. Da Radiologen mit diesem Spezialwissen noch rarer sind, müssen sich diese Kollegen in der Bildgebenden Diagnostik meist selbst weiterbilden. DiploVets bemüht sich, hier Abhilfe zu schaffen :-)

Diplovets: Was sind aus Ihrer Sicht die Vorteile der Telemedizin im Bereich der Reptilien- bzw. Exotenmedizin?


Dr. Michaela Gumpenberger: Gerade bei Schildkröten ist die Bildgebung eine unverzichtbare Stütze zur korrekten Diagnose von Erkrankungen. Da diese Reptilien quasi in einer knöchernen Box leben, sind sie einer klassischen klinischen Untersuchung (Palpation, Auskultation, Pulsmessung…) weniger zugänglich. Schweratmigkeit kann z.B. nicht nur durch eine primäre Erkrankung des Atmungstraktes, sondern durchaus auch durch eine Lungenkompression (z.B. durch Harnstau oder Obstipation) hervorgerufen werden. Ohne ergänzender Bildgebung ist hier eine Fehldiagnose vorprogrammiert.

Selbst erfahrene Exotenpraktiker sind nicht immer sattelfest in der Bildinterpretation. Während Ultraschallbilder oder -videos nicht sehr gut zum Einholen einer Zweitmeinung geeignet sind, stellen Röntgen- und CT Bilder ausgezeichnete Medien dar. Es sollte auch nicht unterschätzt werden, dass wir bei „Exotenmedizin“ von tausenden verschiedenen Arten sprechen. Eine Person kann hier niemals alle tierartspezifischen Eigenheiten oder anatomischen Varianten kennen!

Bei Hunden oder Katzen hat man es „nur“ mit verschiedenen Rassen zu tun - und selbst diese zeigen eine unglaubliche Vielfalt an Varianten (man denke nur an Brachyzephale, die einen eigenen „Krankheitspool“ haben.). Via Telemedizin können mehrere Spezialisten weltweit gleichzeitig konsultiert werden.

Diplovets: Was benötigen Sie für eine fundierte Auswertung von Befunden?

Dr. Michaela Gumpenberger: Möglichst korrekte Nennung der Species. Also nicht nur „Schildkröte“, sondern „Maurische Landschildkröte“. Da es sich um verschiedene Arten handelt, ist der physiologische Status unterschiedlich (in diesem Fall z.B. Eizahl, Schalendichte, Ernährung,…).

In der Anamnese ist es hilfreich, wenn auf weitere vorhandene Tiere eingegangen wird. Die Gruppenzusammensetzung bei der Haltung mehrerer Tiere kann Hinweis für Differentialdiagnosen geben.
Hilfreich ist es auch, die bereits gefassten Differentialdiagnosen und Therapien anzuführen.

Röntgenbilder sollen immer in zwei Ebenen angefertigt werden. Bei Exoten sind dies meist Ganzkörperaufnahmen im seitlichen und dorsoventralen/ventrodorsalen Strahlengang. Bei Schildkröten kann eine ergänzende kraniokaudale Aufnahme (im horizontalen Strahlengang) helfen.

Wichtig ist, sich für die Positionierung Zeit zu nehmen, um die Tiere möglichst symmetrisch zu lagern. Bei Vögeln sollen Flügel und Beine weggestreckt fixiert werden, um Überlagerungen zu vermeiden. Die Atemphase ist hingegen kaum relevant. Die Tiere müssen auch nicht fasten.
Obwohl gerade bei Echsen und Schildkröten die DV Lagerung bei Tierärzten bevorzugt wird, trägt die zweite Aufnahmerichtung wesentlich zur Befundung bei!

Bei Vögeln kann es hilfreich sein, eine per orale Kontraststudie durchzuführen.

Bei CT Untersuchungen ist darauf zu achten, ausreichend hohe Expositionsdaten zu verwenden. Bei zu starkem Bildrauschen ist die Befundung begrenzt. Bei Schildkröten können die ScanProtokolle von Säugetierköpfen adaptiert werden. Weiters soll unbedingt eine Rekonstruktion im Weichteil- UND Knochenfenster erfolgen! Bei Schichtdicken von 1mm oder weniger ist bei der anschließenden Befundung eine zielführende MPR möglich.
Wenn Lagerunghilfen verwendet werden, ist darauf zu achten, dass sie keine Artefakte verursachen.

Diplovets: Haben Sie noch einen abschließenden Tipp?

Dr. Michaela Gumpenberger: Ja, gerne gleich mehrere:

- Die klinische Untersuchung von Schildkröten ist meiner Meinung nach nur mit einer ergänzenden Röntgenuntersuchung in zwei Ebenen vollständig (ausgeschlossen davon wären einfachere Umstände wie z.B. abgebrochene Krallen.

- CT Untersuchungen sind Röntgenuntersuchungen bei Exoten meist überlegen. Um bei der meist eher verfügbaren Röntgenuntersuchung möglichst effektiv befunden zu können, sind zwei Aufnahmeebenen unabdingbar.

- Aus meiner Erfahrung schätzen Besitzer von Exoten die Offenheit ihres Tierarztes. Eine Zweitmeinung einzuholen gilt hier nicht als Schwäche, sondern zeigt das Bemühen, das Beste für das Tier erreichen zu wollen. Besitzer sind meist sehr angetan davon, dass es Spezialisten für die Bildgebung bei Exoten gibt. Wenn man Besitzern die Vorzüge von CT Untersuchungen (je nach Gerät und Patient ist die Untersuchung auch ohne Narkose möglich, Goldstandard für Untersuchung der Atemwege, relativ sicherstes Diagnostikum für Fettlebererkrankungen…) darlegt, sind diese fast immer bereit, den höheren Preis dafür zu bezahlen.

- Bei Reptilien sind Notfälle seltener als bei Vogelpatienten. Dennoch ist häufig rasches Handeln nötig. Telemedizin kann hier helfen, zeitnah den Tierarzt zu unterstützen, und so die optimale Therapie einzuleiten.

 

Wir danken für das spannende Interview und die ausführliche Beantwortung der Fragen. Alles Gute für Sie!

Öffnet externen Link in neuem FensterHier geht es zur Publikation von Dr. Michaela Gumpenberger "Bildgebende Diagnostik des Respirationstraktes bei Reptilien"

 

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