12.Feb 2022

Alpha-Chloralose-Vergiftung bei Hund und Katze

 

 

Vergiftung mit Chloralose bei Hund und Katze

Alpha-Chloralose, häufig als “neuartiges Mäusegift” bezeichnet, kann bei oraler Aufnahme unbehandelt tödlich enden.

Eine Intoxikation kann sowohl primär durch die direkte Aufnahme der Köder als auch sekundär durch das Fressen von vergifteten Mäusen ausgelöst werden.

Was ist alpha-Chloralose und wofür wird es verwendet?

Alpha-Chloralose (Chloralose) ist ein seit 2011 in der EU zugelassenes und seit 2018 in Deutschland verstärkt eingesetztes Rodentizid. Die Köder, meist mit Mehl oder Getreide vermischt bzw. als Paste verwendet, dürfen lediglich in geschlossenen Räumen und unter bestimmten Bedingungen verwendet werden.

Hier liegt allerdings häufig der Knackpunkt - da das Mittel aktuell frei verkäuflich ist, wird es teilweise auch unsachgemäß im Außenbereich angewendet. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es versehentlich von Katzen, Hunden oder Wildtieren aufgenommen wird.

Da das Mittel bei Nagern den Tod durch Hypothermie hervorruft, wird es bevorzugt in den Herbst- und Wintermonaten angewendet, jedoch nicht ausschließlich.

Wirkprinzip

Hauptwirkung:

  • Beeinflussung der Thermoregulation (Hypothermie)
  • depressive Wirkung auf das ZNS (bis hin zum Koma)
  • gleichzeitig stimulierende Wirkung auf spinale Reflexe (Hyperästhesie, Hyperreflexie, Spasmen)
  • eine bronchiale Hypersekretion kann zu Dyspnoe führen

Wirkungseintritt: 30 min bis 4 Stunden nach Aufnahme

Ab welcher Dosis besteht Gefahr für Hund und Katze?

“Die minimale letale orale Dosis beträgt für Hunde 600-1000 mg/kg Körpergewicht, für Katzen 100 mg/kg Körpergewicht” (Lees & Pharm, 1972)

Dazu ein praxisnahes Rechenbeispiel anhand der Katze:

Eine Herstellerfirma empfiehlt mind.10 g Köder pro 3-5 Meter.

In den Ködern sind laut Hersteller 44 g/kg Chloralose enthalten. In 10 g Köder sind also 0,44 Gramm oder 440 mg Chloralose enthalten.

Folglich können 10 g, was ca. 1 Teelöffel Köder entspricht, bzw. eine vergiftete Maus ausreichen, um bei einer 4kg Katze einen letalen Ausgang hervorzurufen.

 

Hunde hingegen benötigen zwar höhere Dosierungen, wobei jedoch nicht vergessen werden sollte, dass diese häufig größere Mengen Fressbares auf einmal zu sich nehmen.

Mögliche Symptome

  • Meist Hypothermie - es werden allerdings auch Fälle von Normothermie bzw Hyperthermie (vor allem bei Hunden) beschrieben. Gründe dafür können u.a. sein: Erhöhung der Körpertemperatur durch Krampfzustände, Festliegen in der prallen Sonne oder iatrogen durch starke Wärmezufuhr
  • → Das Ausbleiben einer Hypothermie scheint daher keinen Ausschluss der Verdachtsdiagnose darzustellen
  • neurologische Symptomatik: Tremor, Ataxie, Spasmen, Koma/Somnolenz
  • Hyperreflexie und/oder Hyperästhesie
  • Miosis, selten auch abwechselnd mit Mydriasis
  • Hypersalivation
  • Dyspnoe bis hin zu Apnoe (bedingt durch bronchiale Hypersekretion)
  • Zyanose

Diagnose

Eine Verdachtsdiagnose kann häufig bereits durch die Anamnese sowie die klinische Erstuntersuchung gestellt werden.
Teilweise ist der röntgenologische Nachweis knochendichter Strukturen aufgenommener Nager möglich.

Alpha-Chloralose ist direkt in Serum, Urin, Mageninhalt oder den Ködern selbst nachweisbar.

Mögliche Labordiagnostik bei Verdachtspatienten:

  • Großes Blutbild und Blutchemie
  • Säure-Basen-Status bei Patienten mit Dyspnoe (ggf. respiratorische Azidose)
  • Gewinnung von Harn zur direkten Untersuchung auf Alpha-Chloralose (Forensik!) und/oder Erstellung des Harnstatus
  • Bei Verdacht auf (zusätzlichen) Verzehr eines cumarinhalteigen Rodentizids sollte auch die Kontrolle der Blutgerinnung (nach ca. 36-72 h sinnvoll) erfolgen und ggf. eine Behandlung mit Vit K1 eingeleitet werden

Differentialdiagnosen

  • Epileptiforme Anfälle anderer Genese
  • Tetanus
  • Weitere neurologische Erkrankungen wie Enzephalitiden, Polyneuropathien
  • Hypoglykämie (Toyrassen/Zwergrassen!)
  • Andere Vergiftungen mit Strychnin, Metaldehyd, chlorierten Kohlenwasserstoffen oder Organophosphaten

⇒ Umgekehrt sollte eine Intoxikation mit alpha-Chloralose bei Koma- oder Krampfzuständen unbekannter Genese stets als Differentialdiagnose in Betracht gezogen werden.

Welche Anweisungen sollten an den Besitzer gegeben werden?

Steht eine mögliche forensische Untersuchung im Raum (z.B. Tierbesitzer möchte strafrechtliche Untersuchung einleiten), sollten alle vorhandenen Proben sicher aufbewahrt werden.

Ansonsten gelten die üblichen Hinweise:

  • wenn möglich Verpackung mitbringen (Umverpackung oder gefundene Köder/Erbrochenes) - wichtig auch um zu wissen, ob eine mögliche Cumarinvergiftung vorliegt
  • der Patient sollte schnellstmöglich in die nächstgelegene Praxis/Klinik gebracht werden
  • die Besitzer sollen kein Erbrechen durch “Hausmittel” provozieren
  • ggf. den Patienten auf dem Weg zum Tierarzt warm halten

Therapie

Da es kein Antidot zur Chloralose gibt, erfolgt die Therapie symptomatisch und mittels Dekontamination.

1. Aufrechterhaltung, Wiederherstellung und Stabilisierung der Vitalfunktionen:

  • Infusion (Ringer-Lactat oder Bicarbonat - puffern mögliche respiratorische Azidose)
  • bei hgr. Dyspnoe oder komatösen Zuständen Intubation und Beatmung mit reinem Sauerstoff

2. Dekontamination/Ausschwemmung des Toxins:

  • Magenspülung oder induziertes Erbrechen bis 4 h nach Aufnahme (Erbrechen nur am wachen, krampffreien Patienten auslösen). Tipp: Bei der Katze hat sich das zusätzliche Drehen auf einem Drehstuhl oder starkes Schwenken bewährt, um das Erbrechen zuverlässiger auszulösen.
  • Aktivkohle (Toxinbindung): Anschließend an die Dekontamination
  • Diuretika: Forcierte Diurese mit Furosemid

3. Wärmezufuhr bei Hypothermie (CAVE Hautverbrennungen und iatrogene Hyperthermie, da Tiere häufig immobilisiert -  gut eignen sich Naturhaardecken und Wärmelampen, die nicht zu nah am Körper befestigt werden) → kontinuierliche Kontrolle der Körpertemperatur unerlässlich!

4. bei Bedarf antikonvulsive Therapie

  • Diazepam Mittel der Wahl
  • CAVE Phenobarbital - wirkt atemdepressiv und kann sich mit atemdepressiver Wirkung der Chloralose überlagern
  • Unterbringung in ruhiger und abgedunkelter Umgebung (wie bei Tetanus-Patienten), Patienten regelmäßig wenden

5. Hypersekretion

  • Bromhexin bzw. aktuell zulässige Sekretolytika


Prognose

Bei zeitnaher Behandlung und strenger Überwachung gut bis sehr gut. Hospitalisierte Patienten können meist nach 24-72 h entlassen werden. Dauerhafte Schäden sind nicht bekannt.

Fazit

Auch bei schwerwiegender Symptomatik sollte ein Therapieversuch gestartet werden.

Selbst Patienten, die mit hgr. Hypothermie und/oder im komatösen Zustand vorgestellt werden, genesen häufig innerhalb weniger Tage vollständig.

Freigängerkatzen sowie Wildtiere hingegen versterben bedingt durch die unsachgemäße Anwendung vermutlich regelmäßig, ohne dass die Ursache erkannt bzw. das Tier aufgefunden wird.


Literaturverzeichnis: Auf Anfrage ; Ergänzung der Autorin: Persönliche Erfahrungen und Berichte von tierärztlichen Kolleg*innen wurden in diesem Beitrag berücksichtigt.

 

Autorin des Artikels:

Tierärztin med. vet. Julia Brüner